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Eoin Moore: "Ein Krimi mit offenem Ende ist wie ein Kreuzworträtsel ohne Lösungswort"


Eoin Moore: "Ein Krimi mit offenem Ende ist wie ein Kreuzworträtsel ohne Lösungswort"

t-online, Lars Schmidt

24.10.2012Lesedauer: 8 Min.
Regisseur und Drehbuchautor Eoin MooreVergrößern des BildesRegisseur und Drehbuchautor Eoin Moore (Quelle: dpa)
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Er wurde in Dublin geboren, hat in Berlin studiert und zählt zu Deutschlands besten "Polizeiruf 110"- und "Tatort"-Regisseuren: Eoin Moore. Seit 2005 gehen acht solcher Produktionen auf das Konto des 44-Jährigen - eine davon Grimme-Preis-nominiert. Zuletzt waren der Rostocker "Polizeiruf: Stillschweigen" sowie der Kieler "Tatort: Borowski und der freie Fall" unter der Regie von Eoin Moore im TV zusehen. Im Interview äußerte der Filmemacher seine Meinung zu den neuen, prominenten Kommissaren wie Nora Tschirner, Christian Ulmen und Til Schweiger und erklärt, warum man im "Tatort" nicht "googeln" sagen darf.

t-online.de: Nora Tschirner und Christian Ulmen werden ein neues "Tatort"-Team in Weimar. Sie drehen einen so genannten "Event-Tatort", der Weihnachten 2013 gezeigt werden soll. Für bekannte Schauspieler sind scheinbar Gelder vorhanden. Was sagen Sie dazu?

Eoin Moore: Das macht Sinn. Wenn es schon nur einen Film im Jahr gibt, dass dieser zumindest auffällig ist. Es wäre aber schade, wenn im "Tatort" und im "Polizeiruf" zwei Klassen entstehen würden. Warum bekommen nicht die Kommissare, die Jahr für Jahr solide Hausmannskost liefern und damit die Zuschauer an den Sendeplatz binden, einmal die Chance, einen Film mit viel Budget zu drehen? Warum nicht einen Event-"Polizeiruf" Rostock oder einen Event-"Tatort" München, wo alle zeigen können, was noch in ihnen steckt? Warum geht das nur mit Tschirner, Ulmen und Schweiger? Mir geht es da weniger darum, die Schauspieler zu belohnen, sondern eher die dahinter stehenden Redakteure, die Produktionsfirmen, die Autoren und Regisseure, die Szenenbildner usw., die immer wieder mit zu wenig Budget etwas Tolles leisten.

t-online.de: Die „Tatort“-Landkarte wird immer voller: ein neues Team in Dortmund, eines in Thüringen sowie Wotan Wilke Möhring als weiterer Kommissar in Norddeutschland. Außerdem kündigte der BR einen „Tatort“ in Nürnberg an. Und nun auch noch Ulmen und Tschirner in Weimar. Wird das nicht langsam zu viel und zu unübersichtlich?

Eoin Moore: Vielleicht geht das Gefühl, Teil einer „Tatort“-Familie zu sein, etwas unter. Aber dass es unübersichtlich wird, glaube ich nicht. Die Sender wollen das Format erneuern. Und das ist ein Kraftakt. Das kostet viel Geld und Energie. Gute Geschichten mit Kommissaren, deren Persönlichkeit sich weiterentwickelt zu schreiben, ist schwierig…

t-online.de: Aber geht mit der zunehmenden Zahl an Ermittlern nicht die Identifikation der Zuschauer mit ihnen flöten? Besonders, wenn einige von ihnen nur einmal im Jahr zu sehen sind.

Eoin Moore: Das kann sein. Bisher ist der „Tatort“ mit seinem statischen Konzept gut gefahren. Man schaltet ein und weiß, dass der Kommissar genauso dasteht wie vor sechs Monaten. In seinem Leben hat sich nichts verändert und der Film beschäftigt sich mit den Episodenhauptrollen. Die Kommissare standen für das Konstante und nicht für das Dynamische. Davon kommt man jetzt endlich ab. Aber das sind Experimente. So wie Til Schweiger ein Experiment ist. Da wird es dann krachen und nach Hollywood aussehen.

t-online.de: Weil es Til Schweiger ist, ist plötzlich mehr Geld da?

Eoin Moore: Ja. Die haben mit den Budgets neu jongliert.

t-online.de: Wegen Schweigers Honorar oder wegen des Films?

Eoin Moore: Das wissen nur wenige. Aber es ist auf jeden Fall deutlich teurer. Und zwar einige hunderttausend Euro mehr. Dafür gibt es aber nur einen Schweiger-„Tatort“ pro Jahr. Wo ich aber stutzig wurde, war die Meldung, dass der NDR mit Wotan Wilke Möhring noch einen „Tatort“ produzieren wird. Für den dürfte eigentlich gar kein Geld mehr da sein. Ich weiß nicht, was man da für Entscheidungen getroffen hat.

t-online.de: Was halten Sie persönlich von Til Schweigers Verpflichtung als Kommissar?

Eoin Moore: Nichts spricht dagegen, dass Til Schweiger durch das deutsche Fernsehen hüpfen darf. Warum nicht ein Kinostar im „Tatort“. Ich bin sehr gespannt und offen gegenüber seinem ersten Fall. Lieber sollen sie etwas probieren und riskieren, als es von vornherein abzulehnen. Immerhin stehen gute Leute hinter der Kamera. Nur als ich gelesen habe, der erste Schweiger-„Tatort“ werde ein Actionthriller, hat es mich schon weniger interessiert. Wenn man gesagt hätte, man sieht eine ganz andere Seite von Til Schweiger, das wäre doch interessant gewesen. Aber Til Schweiger ist gleich Actionfilm - das ist mir zu einfach… Wir werden es sehen.

t-online.de: Wie erklären sie sich den enormen Erfolg des Teams Thiel und Boerne aus Münster?

Eoin Moore: Ich habe nur ihren ersten Fall gesehen. Und der war nicht so mein Ding, muss ich sagen. Das sind tolle Schauspieler, aber er hat mich nicht gepackt. Aber vielleicht haben sie in der Zwischenzeit tolle Filme gemacht. Ich kann das nur nicht beurteilen.

t-online.de: Sie haben 2005 Ihren ersten „Polizeiruf“ unter dem Titel „Die Prüfung“ mit Edgar Selge für den Bayrischen Rundfunk gedreht - wie kam es zu dem Engagement?

Eoin Moore: Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon vier Kinofilme gemacht. Die waren aber alle im Arthouse-Bereich und meine Agentin meinte, ich wäre aus Sicht der TV-Redaktionen noch nicht Prime-Time-fähig. Man traute mir also nicht zu, einen 20.15-Uhr-Film zu machen. Ich dachte immer das Gegenteil – nämlich auf dieses Niveau runterzukommen sei kein Problem! Ich hatte also überhaupt keine Ambitionen diesbezüglich. Aber dann kam die Redakteurin Cornelia Ackers auf mich zu und fragte mich, was mich an einem Krimi interessieren würde. Ich habe ihr dann erzählt, warum ich keine Krimis gucke. Unter anderem weil mir in vielen Belangen die Lebensnähe fehlt. Aber wenn ich erzählen darf, was ich will, zum Beispiel welche Probleme die Kommissare damit haben, eine Todesnachricht an jemanden zu überbringen, der sich mit dieser Nachricht total schwer tut, dann würde ich es machen. Und so wurde ich „Polizeiruf“-Regisseur.

t-online.de: Wenn man als Schauspieler Kommissar beim „Tatort“ oder „Polizeiruf“ wird, gilt das als Ritterschlag. Verhält sich das bei Regisseuren auch so?

Eoin Moore: Ich glaube aus Sicht der Branche und der Sender ist das so. Aus Sicht eines Filmemachers nicht unbedingt. Zu behaupten, ein „Tatort“ wäre ein größerer Erfolg im Beruf als ein Independent-Film, an dem man zwar mehrere Jahre lang arbeitet aber den nur 50.000 Zuschauer sehen, finde ich falsch. Natürlich verdient man beim „Tatort“ etwas, im Gegensatz zum Indie-Film. Ich habe Nebenjobs gemacht, um meine Kinofilme zu finanzieren und leben zu können. Im Vergleich dazu ist „Tatort“-Regisseur fast wie eine Festanstellung. Man weiß, wann der erste Drehtag ist. Man weiß, dass der Film gesendet wird. Man weiß, dass man nicht umsonst arbeitet. Man muss nur sehen, wie man sich innerhalb dieses Rahmens ausbreiten kann.

t-online.de: Wie frei ist man denn innerhalb des Rahmens, der einem von den öffentlich-rechtlichen Sendern vorgegeben wird?

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Eoin Moore: Ich habe die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht. Es kommt sehr darauf an, wo man ist. Man merkt als Regisseur, unter welchem Druck manche Redakteure stehen. Das äußert sich dann in fehlendem Vertrauen und übermäßiger Kontrolle mir gegenüber. Ich habe aber auch sehr schöne Erfahrungen gemacht, zum Beispiel beim BR und beim NDR.

t-online.de: Geht es dabei mehr um inhaltliche Frage oder ums Geld?

Eoin Moore: Wenn es ums Budget geht, halten sich die Redakteure eher raus. Dafür ist die Herstellungsleitung des Senders zuständig. Wir haben schon oft darum gebeten, für besondere Anlässe oder Szenen mal etwas mehr Geld locker zu machen. Doch die drehen sich meist um und sagen: „Nö. Kriegt ihr nicht. Macht es wie beim letzten Mal, ihr schafft das schon.“ Und irgendwie schafft man es dann auch. Aber mit mehr Stress und weniger Kreativität. Das ist für alle sehr anstrengend.

t-online.de: Es heißt, dass für diese Filme ein Budget von 1,5 Millionen Euro zur Verfügung steht. Stimmt das?

Eoin Moore: Nicht ganz. Auch das ist unterschiedlich. Aber ich würde eher sagen etwas weniger - 1,2 bis 1,4 Millionen.

t-online.de: 18 von 22 Drehtagen des Rostocker „Polizeirufs“ werden aus Kostengründen in Hamburg gedreht, wo der verantwortliche NDR sitzt. Begründet wird das mit der nötigen Infrastruktur und dem qualifizierten Personal. Alles in Rostock zu drehen würde mindestens 200.000 Euro mehr kosten. Aber: Ist das nicht Irreführung der Zuschauer? Dann könnte man ja alle „Polizeirufe“ und „Tatorte“ zentral in einem Studio drehen und nur für die Aufnahmen, wo die jeweilige Stadt erkennbar im Bild ist, dorthin fahren…

Eoin Moore: Das gibt’s schon - in Baden-Baden gibt es ein Gebäude in dem sich die Kommissariate von Stuttgart, Ludwigshafen und Konstanz alle befinden. Sehr praktisch. Man muss das von der anderen Seite sehen. Wir müssen verantwortungsvoll mit den GEZ-Gebühren umgehen. Beim ersten Rostocker „Polizeiruf“ haben wir von 21 Tagen fünf in Rostock gedreht, weil wir möglichst viel von dieser tollen Stadt zeigen wollten. Aber wenn wir eine Szene in einem Zimmer drehen, wo man nicht mal durch das Fenster schauen kann, warum sollten wir dazu extra nach Rostock fahren? Jeder Drehtag dort verursacht extra Kosten wie Hotel, Anreise usw. für 35 Personen. Der Kieler „Tatort“ dagegen wird fast immer vollständig in Kiel gedreht, weil das Land Schleswig-Holstein die Produktion fördert. Die zahlen dafür.

t-online.de: Ich habe gelesen, man dürfe bei Tatort nicht „googeln“ sagen - es müsse „im Internet suchen“ heißen. Stimmt das?

Eoin Moore: Das ist leider so. Es gab mal ein paar Produktionsleiter, die unter dem Tisch Geld mit Schleichwerbung verdient haben. Als das aufflog, war das ein ziemlicher Skandal, der dazu führte, dass die ARD jetzt rigoros in dieser Beziehung vorgeht. Alle Labels von allen Produkten die wir vor der Kamera haben, werden frei erfunden und extra hergestellt. Wenn jemand einen Laptop aufklappt, darf man da nicht das Apfel-Zeichen sehen. Markennamen werden auch nicht ausgesprochen…

t-online.de: Nur die Automarken sind immer klar und deutlich zu erkennen.

Eoin Moore: Kurioserweise macht man da eine Ausnahme. Aber wenn man anfangen würde, Automarken unkenntlich zu machen, würde es ja absurd werden. Inzwischen beginnt sich das auch wieder zu lockern. Solche Maßnahmen werden doch immer ergriffen, wenn ein Skandal passierte. Seit den Vorfällen um Doris Heinze muss ich beispielsweise immer dafür unterschreiben, dass ich kein Pseudonym habe. Das sind einfach Reflexreaktionen.

t-online.de: Innerhalb der ersten fünf Minuten passiert der Mord, am Ende wird der Täter gefasst - alles andere wird als geradezu stilbrechend angesehen. Ist das deutsche „Tatort“- und „Polizeiruf“-Publikum konservativ?

Eoin Moore: Das glaube ich nicht. Dieses Schema trifft bestimmt auf 95 Prozent aller Krimis zu, auch international. Denn darum geht es ja auch. Ein Krimi mit offenem Ende ist wie ein Kreuzworträtsel, bei dem dir am Ende das Lösungswort fehlt. Als Ausnahme kann es aber gut funktionieren.

t-online.de: Das Publikum meckert über zu viel Gesellschaftskritik, aber auch über zu viel Realitätsferne - welche inhaltliche Mischung braucht ein idealer „Tatort“ oder „Polizeiruf“?

Eoin Moore: Mischung ist das Stichwort. Man kann bei den beiden Reihen an einem Sonntag einen knallharten Realismus-Krimi sehen und eine Woche später ein Fantasieprodukt. Das kann man als Wert ansehen. Wenn sich der „Tatort“ mit gesellschaftskritischen Themen auseinandersetzt, finde ich das gut. Ich finde es aber unerträglich, wenn ich das die ganze Zeit beim Zuschauen spüre.

t-online.de: Was wird das nächste sein, was man von Ihnen im TV oder im Kino zu sehen bekommt?

Eoin Moore: Ich schreibe gerade an einem Kino-Drehbuch, von dem ich aber noch nicht weiß, ob der Film dazu je realisiert wird. Mein letzter „Polizeiruf“ und mein letzter „Tatort“ liefen gerade erst. Der nächste „Polizeiruf“, den ich drehen werde, ist erst für Herbst 2013 geplant. Dann wieder mit dem Rostocker Team.

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